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Die Ursachen der Entwaldung in Amazonien – ein kurzer Überblick

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Dossier: Klima und Wandel in Amazonien

Die Ursachen der Entwaldung: Alles scheint deutlich zu sein und ist doch nicht einfach zu verstehen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Bild vom alten Gegenspieler der Zivilisation, dem Wald, ungemein verändert. Aus der brütenden Düsternis, wie sie Joseph Conrad in seinen Büchern beschrieb, ist die Schatzkammer der Artenvielfalt geworden, die vielleicht heilbringende Pflanzen für die Menschheit beherbergt. Später wurde die zentrale Rolle des Waldes für das Klima entdeckt, zunächst in der griffigen, aber nicht haltbaren Formel von der „Lunge der Erde“, und nun als wichtiger CO2-Speicher. Der Wald ist innerhalb der ökologisch aufgeklärten, internationalen Community hoch geschätzt. Das gilt auch für Brasilien, das Land mit dem größten Waldgebiet der Erde. Spätestens seit der Regierung Cardoso und ihrer Beteiligung am internationalen Amazonasprogramm PPG7 ist die Walderhaltung offizielle Regierungspolitik des Landes. Seit der Regierungsübernahme durch Lula da Silva im Jahre 2003 ist die hoch angesehene und integre Marina da Silva Umweltministerin. An den guten Absichten der Regierung kann es gar keinen Zweifel geben – wohl aber an deren Wirksamkeit. Denn trotz der bedeutenden „Waldwende“ geht die Zerstörung des Regenwaldes anscheinend ungebrochen weiter – aufmerksam von Satelliten beobachtet.

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Die Modernität der Satelliten steht in scharfem Kontrast zu der Kontinuität archaischer Praktiken in den Niederungen auf der Erde. Dies wirft natürlich sofort die Frage nach dem „Warum“ auf, der hier in einem kurzen Überblick nachgegangen werden soll. Eine Sichtung der Veröffentlichungen zeigt, dass viele Beiträge eher die Dynamik der Entwaldung nachzeichnen und weniger die Frage nach der Ursache beantworten. Vielleicht geschieht das mit gutem Grund, bekommen doch Ursachenforschungen leicht einen metaphysischen Drive.



Und vielleicht ist die Antwort auf die Frage nach der Ursache der Entwaldung in Amazonien auch einfach zu banal: es lohnt sich. Die Implikationen und Folgen dieser Feststellung sind vielleicht nicht so banal. Alle Dynamiken der Entwaldung – mit einer Ausnahme, dem unabsichtlichen Waldbrand – haben einen ökonomischen Hintergrund. Das ist keineswegs selbstverständlich. Die Entwaldung in der Antike hatte beispielsweise größtenteils militärische Gründe (Flottenbau), wie natürlich auch der Einsatz von Pflanzengiften im Vietnamkrieg. Entwaldung in Amazonien ist in der Regel harte Arbeit und kostet, ist also auch eine Investition. Sie folgt einer ökonomischen Rationalität, die zu unterschätzen, ein großer Fehler wäre. Diesen Fehler haben Ökologen in den achtziger Jahren begangen. Viele Studien zeigten damals nicht nur den ökologischen, sondern auch den ökonomischen Irrsinn von Viehzucht und Landwirtschaft in Amazonien. Es lag die Vermutung nahe, dass diese ökonomischen Aktivitäten im Grunde nur dazu dienten, um sich Subventionen anzueignen. Eine zentrale Forderung war daher auch diese nach dem Abbau der Subventionen. Dies hat sich jedoch als fataler Irrtum herausgestellt. Wir werden heute mit der Tatsache konfrontiert, dass Viehzucht und Landwirtschaft in großen Teilen Amazoniens durchaus ökonomisch attraktiv sind, selbst ohne staatliche Förderung. Lange Zeit sind solche Feststellungen als Apologie für die Entwaldung missverstanden worden – verständlicherweise, weil diese Argumentation oft von Apologeten der Entwaldung vorgetragen wurden.

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Noch eine Warntafel ist unbedingt aufzustellen, auch wenn sie keine Neuigkeit verkündet: Amazonien ist groß, sehr groß. Proudhon hat behauptet, wer Menschheit sagt, will betrügen. Vielleicht gilt Ähnliches für Amazonien. Viele Studien beziehen sich auf einen ganz bestimmten Ort, ziehen dann aber Schlussfolgerungen für ganz Amazonien. Dies wäre ungefähr so, als wenn ein Forscher eine bestimmte Tendenz der Bodennutzung in Ostwestfalen–Lippe untersuchte und dann seine Resultate für ganz Europa gelten lassen wollte. Die notwendige Differenzierung des Amazonasbildes ist in den letzten Jahren deutlich vorangeschritten, bei Umweltengagierten aber oft nicht angekommen. Denn auch einige ökologische Glaubenssätze müssen wohl revidiert werden. Heute ist unumstritten, dass Amazonien ein Patchwork verschiedener Ökosysteme und Klimazonen darstellt. Auch die Bodenbeschaffenheit ist natürlich unterschiedlich. Die ökologische Entdeckung, wie der so üppige Regenwald auf nährstoffarmen Böden gedeihen kann, lässt keineswegs den Fehlschluss zu, dass überall, wo Regenwald wächst, die Böden nährstoffarm sind. Auch die für die ökologische Theorie so wichtige Beobachtung, dass die Wurzeln in Amazonien extrem flach sind, ist inzwischen relativiert worden. Amazonien ist bei Weitem nicht so homogen, wie Luftbilder dieses suggerieren. Das bedeutet aber auch, dass allgemeine Feststellungen über Sinn und Unsinn von Landwirtschaft und Viehzucht für ganz Amazonien kaum noch zulässig sind.  

Ein aktueller Blick auf die Entwaldung

Im Januar 2008 musste die brasilianische Regierung einräumen, dass sich die Erfolgszahlen der Entwaldungssaison 2006/7 nicht wiederholen werden. Die aktuellen Zahlen deuten auf eine drastische Erhöhung der Entwaldung hin. Die neuen Zahlen haben auch in Brasilien die öffentliche Diskussion um die Abholzung des Amazonaswaldes wieder in den Blickpunkt gerückt. Alle großen Zeitungen berichteten auf der ersten Seite.



Die Folha de São Paulo schickte sofort ein Team in die Region mit den höchsten Abholzungsraten. Alta Floresta, an der Grenze zwischen Mato Grosso und Pará, gehört zu den 36 Gemeinden, auf die sich die Hälfte der Entwaldung konzentriert. Dort konnten die Reporter Folgendes beobachten: „Die Verwüstung beginnt damit, dass Holzfäller ausgesuchte Bäume mit Motorsägen fällen. Dann reißen Traktoren die restlichen Bäume nieder. Schließlich wird Feuer gelegt, um das Gebiet zu säubern und zur Verwendung als Viehweide vorzubereiten“ (Folha de São Paulo vom 26.01.2008). Auf ihrem Flug in Richtung Pará können die Reporter ein Mosaik von Holzlagern, Viehweiden, kleinen Stauseen und illegalen Straßen beobachten, dazwischen Waldinseln. Es fehlt auch nicht ein überforderter Vertreter der Umweltbehörde IBAMA, der über eine völlig unzureichende Ausstattung verfügt, um das riesige Gebiet in seiner Zuständigkeit zu kontrollieren. Claudio Cazal, der örtliche IBAMA-Chef, ist für dreizehn Gemeinden mit einer Fläche von 92.000 Quadratkilometer zuständig. Das ist größer als der Freistaat Bayern mit seinen gut 70.000 Quadratkilometern. Dafür verfügt er über drei Mitarbeiter und vier kaputte Autos. Die Sofortmaßnahme der Regierung auf die neuen Entwaldungszahlen kommentiert Cazal mit erstaunlicher Offenheit: „Das zeigt nur, wie wenig Brasilia die Realität in Amazonien kennt. Es ist eine Art von Autismus. Was nützt es denn, alle Entwaldungslizenzen zu suspendieren, wenn die Mehrheit der Abholzungen eh ohne Lizenz vorgenommen wird. Wenn wir jetzt zu Kontrollen raus wollen, haben wir dafür keine Mittel. Das ist die Realität“ (Folha de São Paulo vom 17.1.2008).

Das liebe Rindvieh

Die Debatte um Entwaldungsfaktoren hat sich in den letzten Jahren stark auf Soja und Zuckerrohr konzentriert. Umso wichtiger ist es, dass Amigos da Terra Amazonia durch eine im Januar veröffentlichte Studie mit dem Titel „O Reino do Gado“ in Erinnerung gerufen haben, dass der entscheidende Anteil an der Entwaldung Amazoniens auf die Rinderzucht fällt. Die Rinderzucht hat in den letzten zehn Jahren eine geradezu explosionsartige Entwicklung genommen. Die Zahl der Rinder ist in Amazonien zwischen 1992 und 2006 - die letzten offiziellen Zahlen stammen aus diesem Jahr - von 34 Millionen auf 73 Millionen gestiegen. Zwischen 2000 und 2006 hat sich fast die gesamte Expansion des Sektors in Amazonien abgespielt. Und im letzten Jahr ist Brasilien zum weltgrößten Exporteur von Rindfleisch aufgestiegen. Die Rinderzucht ist ein alter Bekannter unter den treibenden Kräften bei der Entwaldung in Amazonien. Offensichtlich hat dieser Sektor eine neue Dynamik gewonnen. Die Studie benennt dafür folgende Ursachen:

• Die nach wie vor günstigen Bodenpreise in Amazonien.

• Die Intensivierung der Landwirtschaft in anderen Landesteilen und die Expansion von Soja und Zuckerrohr führen zur Umwandlung von Weiden in Agrarflächen in anderen Landsteilen und drängen somit die Viehzucht Richtung Amazonien. 

Ermöglicht und begleitet wird die Expansion von einer bemerkenswerten Modernisierung des Sektors. Nach den Zahlen des brasilianischen Statistikamtes IBGE sind 74% der entwaldeten Fläche Amazoniens durch Rinderweiden genutzt. Dies heißt zwar nicht, dass diese Fläche ursprünglich zur Rinderzucht entwaldet wurde, ist aber ein deutlicher Indikator für das überragende Gewicht dieses Sektors in der Entwaldungsdynamik. Die neueren Zahlen des IBGE sind älteren Studien sehr ähnlich. Im Jahre 2000 hatten Chomitz und Thomas von der Weltbank konstatiert, dass 77,4% der entwaldeten Flächen von Weiden bedeckt waren und nur 10% für einen Anbau genutzt wurden. Der Rest scheint ungenutzt.



Warum dehnt sich jedoch die Viehzucht in solch dramatischer Weise im Regenwald aus? Faminow hatte 1998 die Vorteile der Viehzucht in Amazonien folgendermaßen resümiert:

• Vieh auf Weiden sichert den Besitzanspruch – ein Faktor, der an der Agrargrenze kaum zu unterschätzen ist. 

• Die Risiken der Rinderzucht sind weitaus geringer als die der Landwirtschaft, und zwar betreffs Vermarktung, Preisentwicklung, klimatische Bedingungen und Krankheiten.

• Anfangsinvestitionen sind geringer als in der Landwirtschaft, der Rücklauf ist schneller.

• Rinder sind ein liquider und leicht zu veräußernder Besitz.

• Der Transport ist relativ leicht.

• Der Bedarf an Arbeitskraft ist gering.

• Viehzucht bietet gute Chancen, jede Art von staatlicher Aufsicht und Besteuerung zu umgehen.

Diese Argumente für die Attraktivität der Rinderzucht in Amazonien gelten wohl auch heute noch und zeigen den großen Einfluss des Sektors auf die Entwicklungsdynamiken in Amazonien – gerade wenn er sich mit den neuen Dynamiken (Modernisierung, Intensivierung der Landwirtschaft in anderen Landesteilen) verbindet. Der überragende Beitrag der Rinderzucht bei der Entwaldung Amazoniens ist kaum umstritten, auch wenn viele Details weiterhin untersucht werden müssen. Heftig diskutiert bleibt aber die Frage, welche Rolle Kleinbauern in der Ausweitung der Rinderzucht spielen.

Soja als Ursache der Entwaldung

Die zitierten Zahlen zur Rolle der Viehzucht bei der Entwaldung dienen auch immer als Rechtfertigung des Sojasektors. Dieser sei kein wichtiger Akteur der Entwaldung, sondern nutze nur bereits entwaldete Flächen. Das ist sicherlich teilweise richtig, in den letzten Jahren haben einige Untersuchungen jedoch ein neues Licht auf die Rolle des Sojaanbaus geworfen. Basis für alle weiteren Diskussionen ist die 2006 veröffentlichte Untersuchung von Douglas Morton, einem Spezialsten für Fernbeobachtung. Morton kommt zu dem Schluss, dass ein Teil der Entwaldung in Höhe von etwa 16% im Bundesstaat Mato Grosso im Jahr 2003 direkt der Umwandlung in Sojafelder diente. 2003 war ein Jahr hoher Weltmarktpreise für Soja: ein Phänomen, das sich jetzt wiederholt. Morton hält es deshalb für möglich, dass der jetzige Abholzungsboom in Mato Grosso wiederum mit einer schnelleren Umwandlung in Sojafelder zusammenhängt.

Eine Feldforschung brasilianischer NGOs aus dem Jahre 2004 weist in dieselbe Richtung. Drei Jahre nach der Abholzung war auf den sieben besuchten Betrieben nur noch Soja zu finden. Aber auch schon ein Jahr nach Abholzung war in sieben anderen Betrieben Soja dominant, nur in fünf die Viehzucht. Die insgesamt bei 31 Betrieben vorgenommen Stichproben weisen auf eine starke Korrelation zwischen Sojaanbau und Entwaldung hin.

Beide Untersuchungen beziehen sich auf die Agrargrenze in Mato Grosso, der Hochburg des Sojaanbaus, und legen nur für diese Region Rückschlüsse nahe. Dennoch ist es verständlich, dass die Alarmglocken klingelten, als sich der Sojaanbau ab 2002 auch in Santarém, also mitten im Amazonasgebiet, ausbreitete. Hier haben sich die Ausweitungstendenzen in den letzten Jahren nicht fortgesetzt, ein Tatbestand dessen Gründe noch zu untersuchen sind.  

Auch wenn der Sojaanbau nicht der Hauptgrund der Entwaldung in Amazonien ist, legen diese Studien nahe, dass zumindest in Mato Grosso ein enger Zusammenhang zwischen Entwaldungsdynamik und Sojaanbau besteht.

Zuckerrohr

Die Ausweitung des Zuckerrohranbaus in Brasilien hat Befürchtungen hervorgerufen, dass auch dies dem Regenwald schaden könnte. Die Besorgnis ist verständlich: Brasilien ist weltweit der größte Hersteller von Alkohol auf Zuckerrohrbasis. Und die finanziellen Aussichten für den weiteren Ausbau sind exorbitant. Dennoch bestreitet die brasilianische Regierung kategorisch jegliche Gefahr für den Regenwald. Bei einem Besuch in Brüssel im  Juli 2007 erklärte Präsident Lula: „Das Anbaugebiet von Zuckerrohr liegt weit weg von Amazonien, einer Region, die nicht für den Anbau taugt.“ Und weiter sagte er, Zuckerrohr wachse nicht im Regenwaldgebiet, weil die klimatischen Bedingungen dies nicht zuließen.



Einer empirischen Überprüfung halten diese Behauptungen nicht stand. In Amazonien wird Zucker angebaut, zum Beispiel in Presidente Figueiredo, um die Coca-Cola-Fabrik in Manaus zu beliefern. Auch die offizielle Erntestatistik der Regierung führt die Zuckerproduktion in Amazonien auf. Die Regierung des Bundesstaats Acre, die von der PT, der Partei des Präsidenten, gestellt wird, unterstützt aktiv den Aufbau des agroindustriellen Komplexes „Grüner Alkohol“. Hier wird auf zwei Millionen Hektar Zuckerrohr angebaut und zu Alkohol verarbeitet. Der Ex-Gouverneur von Acre, Jorge Viana, hat bereits den Bau einer zweiten Alkoholdestillerie angekündigt.

Zuckerrohr wächst also in Amazonien. Allerdings ist der Umfang bescheiden, denn die großen Zentren der Zuckerproduktion liegen tatsächlich fern von der Amazonasregion.

Dass Zuckerrohranbau und Regenwaldzerstörung in einem Atemzug genannt werden könnten, ist für die Treibstoffanbauer ein Albtraum. Sie fürchten die weltweite Empörung und das Aus für ihre Expansionspläne. So bleibt die Lage unübersichtlich. 2007 fand sich in der nationalen wie internationalen Presse die Ankündigung der Umweltministerin Marina Silva, der Zuckerrohranbau in Amazonien werde im Rahmen eines nationalen Flächennutzungsplans, der so genannten „Makrozonierung“, verboten. Sofort erklärte Landwirtschaftsminister Stephanes, natürlich solle und könne Zuckerrohr in Amazonien angebaut werden – allerdings auf bereits abgeholzten Flächen. Inzwischen hat die Regierung angekündigt, bis Ende 2008 einen Flächennutzungsplan vorzulegen, in dem festgelegt wird, in welchen Gebieten Zuckerrohr angebaut werden darf. Unklar blieb, ob eine solche „Zonierung“ nur einer Orientierung für Finanzierungen dient oder ob tatsächlich der Anbau reguliert werden soll, was auf erhebliche juristische Schwierigkeiten stoßen würde.

Zurzeit ist also der Anbau von Zuckerrohr kein direkter und signifikanter Beitrag zur Entwaldung. Die Zusammenhänge sind eher indirekt – durch die zunehmende Verlagerung der Rinderzucht nach Amazonien. Das Beispiel Soja lehrt allerdings, dass dem Zuckerrohr vielleicht doch noch eine große Zukunft in Teilen Amazoniens bevorsteht.

Holzsektor

Die Rolle des Holzsektors bei den Ursachen der Entwaldung ist nicht einfach zu bestimmen. Die aktuelle Diskussion konzentriert sich stark auf die durch Satelliten beobachtbare Substitution des Waldes durch Viehweiden oder landwirtschaftliche Nutzung. Der Holzeinschlag wird in der Regel nicht mit der Absicht der Entwaldung betrieben. Es geht vielmehr darum, kommerziell verwertbare Bäume aus dem Wald herauszuholen. Dafür hat sich die Bezeichnung „selektiver Holzeinschlag” eingebürgert. Wird dieser, wie in Amazonien die Regel, ohne die Praxis nachhaltiger Waldwirtschaft durchgeführt, verursacht er schwere Schäden am Naturwald. Eine Fallstudie in Paragominas hat gezeigt, dass für jeden kommerziell nutzbaren Baum 27 andere Bäume gefällt oder geschädigt wurden (Verissimo u.a. 1992). Der Holzeinschlag trägt zwar nicht unmittelbar zur Entwaldung bei, aber doch zu einer schweren Schädigung des Waldes.

Nach jüngeren Erhebungen (Imazon 2006) erfüllen nur 38% des Holzeinschlages die minimalen legalen Voraussetzungen, die ihrerseits keineswegs gute Praktiken garantieren, zum Beispiel die Existenz eines PMSF, eines nachhaltigen Bewirtschaftungsplans.  Der Rest ist offensichtlich illegal. Die Kontrolle des Sektors wird zusätzlich dadurch erschwert, dass etwa 60% des Holzeinschlags „terzerisiert“ sind, also durch kaum erfassbare Kleinakteure, sogenannte „toreiros“ (Lieferanten von Baumstämmen), durchgeführt werden. 

Trotz dieses desolaten Zustandes des Holzsektors gilt er anders als die Vieh- und Landwirtschaft auch als ein großer Hoffnungsträger, insbesondere in den Plänen des Umweltministeriums. Die Inwertsetzung des stehenden Waldes ist die Gegenstrategie zur Entwaldung. Die Schaffung eines ökologisch nachhaltig operierenden Holzsektors wird hierbei als Schlüssel zur Walderhaltung in Amazonien angesehen. Diesem Ziel dienen die Anstrengungen des Umweltministeriums, ein Lizenzsystem in Staatswäldern (Florestas Nacionais) zu etablieren. Bisher vollzieht sich der Holzabbau entweder in nicht dafür legalisierten Gebieten oder auf Privatbesitz. Diese Strategie ist wichtig und umstritten. Die pauschalisierende Verurteilung als „Privatisierung Amazoniens“ wird der Komplexität der Frage sicherlich nicht gerecht.

Feuer

Absichtlich gelegtes Feuer ist ein Instrument der Entwaldung. Ein Teil der Entwaldung aber geht auf das Konto nicht beabsichtigter Feuer, sprich Waldbrände. Diese können ein reines Naturphänomen sein (nach Blitzeinschlag), sie können durch das Ausufern beabsichtigter Feuer verursacht werden, sie können aber auch durch die Degradierung des Waldes durch selektiven Holzeinschlag oder durch Klimawandel begünstigt sein. Die Wahrnehmung des Feuers als wichtiger Faktor der Waldvernichtung hat Konjunkturen. Als 1997/98 während des El Niño in Roraima etwa 12.000 Quadratkilometer abbrannten, erlebte die Debatte um Feuer und Feuerstrategien einen Höhepunkt. Jahrelange Forschungen - insbesondere durch IPAM - haben nun Ergebnisse gebracht, die in der aktuellen Diskussion um Entwaldung nicht vergessen werden sollten.



Ein Teufelskreis von drei Faktoren beeinflusst stark die Verwundbarkeit des Amazonaswaldes. Bodenfeuer sind bisher nicht ausreichend erfasst, weil sie auf Satellitenbildern nicht sichtbar sind. Anscheinend sind aber große Gebiete des Amazonaswaldes bereits durch Bodenfeuer geschädigt. Selektiver Holzeinschlag verringert das Blätterdach, setzt den Boden stärkerer Sonnenbestrahlung aus und schafft ein trockeneres Mikroklima. Und schließlich erhöhen verlängerte Trockenzeiten - sei es durch El Niño oder durch Klimaveränderungen - die Möglichkeit und Ausbreitung von Waldfeuern. Ergebnis ist eine erhöhte „Entflammbarkeit“ des Waldes.  



Der WWF hat durch die Veröffentlichung einer Studie von Daniel Nepstad die Diskussion um Feuer und Entflammbarkeit in den Kontext des Klimawandels gestellt. Vieles ist nicht klar zu quantifizieren, aber es bleibt wichtig festzuhalten, dass eine ausschließliche Fixierung der Diskussion auf Entwaldung das Gesamtbild der Schädigung des Waldes verkürzt und damit wohl zukünftige Ursachen der Entwaldung nicht ausreichend in das Blickfeld rückt. Auch die so häufig wiederholte Feststellung, dass ja noch 80% des Waldes erhalten sind, bedeutet keineswegs dass diese 80% nicht teilweise geschädigt sein können. Degradierte Wälder sind jedoch anfälliger für Waldbrände und werden wohl auch als erste unter den Folgen des Klimawandels leiden.

Groß oder Klein

Ob es nun eher Kleinbauern oder Großgrundbesitzer sind, die den Primärwald beseitigen, ist eine immer wieder diskutierte Frage. Verwirrung ist in der Vergangenheit oft dadurch entstanden, dass nicht berücksichtigt wurde, dass die Größe der entwaldeten Fläche nicht identisch ist mit der Größe des Grundbesitzes. Philip Fearnside, der dieser Frage viel Aufmerksamkeit geschenkt hat, kommt zu dem Schluss, dass etwa 75% der Entwaldung auf Kosten von Großgrundbesitzern geht. Dies ergibt auch Sinn, wenn man die Besitzverteilung in Amazonien in Rechnung stellt. Wie überall in Brasilien ist der größte Teil des Landes in der Hand von Großgrundbesitzern. Allerdings heißt dies nicht, dass es immer die Großgrundbesitzer sind, die unmittelbar Hand an den Wald legen oder legen lassen. Die Rolle intermediärer Akteure -illegale Holzfäller, Siedler - ist nur schwer zu ermitteln, bleibt aber letztlich ephemer.



Die umstrittenste Frage der letzten Jahre ist aber die Rolle der Ansiedlungen aufgrund der Landreform (assentamentos). Bis 2002 sind 1354 dieser Ansiedlungen in Amazonien eingerichtet worden, sie umfassen 231.000 Quadratkilometer, eine beachtliche Fläche, die fast der Größe Großbritanniens entspricht. Imazon kommt in einer 2006 veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass die assentamentos für etwa 15% der akkumulierten Entwaldung (bis 2004) verantwortlich sind. Dies ist keine zu vernachlässigende Zahl, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass sich die assentamentos in einigen Regionen konzentrieren. Im Bundesstaat Pará beispielsweise muss die Rolle der assentamentos als wichtiger Teil der Entwaldungsdynamik wahrgenommen werden.



Dies wird durch aktuelle Diskussionen bestätigt. 2005 wurden in der Region von Santarém (Westpará) 100.000 Hektar Waldgebiet für assentamentos ausgewiesen. Inzwischen sind zahlreiche Anschuldigungen erhoben worden, dass diese Ansiedlungen vorwiegend Holzlieferanten für Holzhändler sind und die Politik der Regierung deren Interessen dient. „Das Niveau der Gesetzesverstöße bei der Einrichtung der assentamentos ist erschreckend“, stellt der hoch angesehene Staatsanwalt Felipe Braga fest. Der Chef der für die Agrarreform verantwortlichen Behörde Incra in Santarém ist inzwischen zurückgetreten.



Der Fall aus Westpará ist nur ein Beispiel dafür, dass die Diskussion um die Rolle der assentamentos hochaktuell und wichtig ist, wirft allerdings auch heikle Dimensionen dieser aktuellen Debatte auf: Ist es sinnvoll, Großgrundbesitzer, die Fleisch für den Export produzieren, mit landlosen Kleinbauern in einen Topf zu werfen? Sind die Kleinbauern Akteure oder eher Opfer der Entwaldung? Dass aber unter der Regierung Lula weiterhin assentamentos in Waldgebieten angelegt werden, ist sicherlich ein wichtiger Aspekt für die Diskussion um Strategien zur Vermeidung der Entwaldung.

 

Straßen und Großprojekte

Entwaldung konzentriert sich entlang von Straßen – das ist eine recht offensichtliche Tatsache. Die Schlussfolgerungen daraus sind weniger klar. Gab es in der Vergangenheit Kampagnen gegen Straßenbau in Amazonien, hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass es kaum möglich und vielleicht auch nicht klug ist, den Straßenbau in Amazonien gänzlich zu verdammen. Die Frage ist also heute eher, wie kann verhindert werden, dass der notwendige und auch wünschenswerte Ausbau von Straßen möglichst geringe Auswirkungen auf die Entwaldungsdynamik hat. An der BR 163, die Santarém mit Cuiabá verbindet, soll dies erprobt werden. Partizipative Strukturen, die Einrichtung von Schutzgebieten und Flächennutzungsplänen, sind die Schlüsselworte für diesen Versuch, Straßenbau in ein Konzept nachhaltiger regionaler Entwicklung einzubinden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dies wirklich gelingt.



Dennoch ist es besorgniserregend, dass im Entwicklungsprogramm PAC - Programm zur Beschleunigung des Wachstums - der Schwerpunkt der vorgesehenen Investitionen in zwei Bereiche geht: Straßen und Energie. Mit der Fertigstellung der vorgesehenen Straßenprojekte würde die langersehnte Verbindung zum Pazifik - über Acre und Peru - Wirklichkeit werden. Diese verkürzt für Teile Amazoniens erheblich den Transportweg von Soja und erleichtert insbesondere den Export nach Asien. Damit würde laut Gerson Texeira, Mitarbeiter des brasilianischen Umweltministeriums, „die notwendige Logistik hergestellt, für die endgültige Transformation Amazoniens als letzte große Agrargrenze für das brasilianische Agrobusiness“.



Im Dezember letzten Jahres ist die Lizenz für einen Großstaudamm am Rio Madeira im Amazonasgebiet erfolgreich versteigert worden. Damit ist nach einer zwanzigjährigen Pause wieder ein Großstaudammprojekt in Angriff genommen worden. Die Regierung feiert dies als Durchbruch – für eine Vielzahl weiterer Projekte in der Region. Wenn die Pläne auch nur teilweise umgesetzt werden, dann wird dies einen immensen Einfluss auf die Entwaldungsdynamik in Amazonien haben. Denn der Staudamm am Rio Madeira wird nicht nur die üblichen Umweltschäden eines Großprojektes verursachen. Als Teil des südamerikanischen Entwicklungsprogramms IIRSA soll er dazu beitragen, die Anbaufläche für Soja um etwa 70.000 Quadratkilometer zu erweitern.



Das Konzept des PAC zeigt, dass Walderhaltung nach wie vor kein zentrales Anliegen der brasilianischen Entwicklungspolitik ist. Walderhaltung wird eher als eine Ressortangelegenheit behandelt, für die das Umweltministerium zuständig ist. Viele gute Ansätze und Projekte zur Walderhaltung werden aber ins Leere laufen, wenn sie nicht Teil der strategischen Orientierung der nationalen Entwicklungspolitik werden.